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Philosophy in Asia

Resonanz als Grundmotiv ostasiatischer Ethik

Rolf Elberfeld

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ABSTRACT: Fuer Platon ist die Musik ein wesentliches Element in der ethischen Erziehung des Menschen. Auch im klassischen China spielt die Musik eine ueberragende Rolle fuer die ethische Erziehung. Bei Platon soll die Musik eine Uebereinstimmung des Menschen mit dem Logos erbringen in china hingegen werden der Naturzusammenhang und auch die menschlichen Beziehungen als ein Zusammenklingen verstanden, das durch eine gelungene gegenseitige „Resonanz" (ying) gut wird im Sinne des Ethischen. Im Vortrag werden verschiedene chinesische Text als Beispiele herangezogen. Die Resonanzethik is aber nicht nur in China ein Grundmotiv, sondern findet sich auch in Japan z.B. bei dem bekannten Philosophen Nishida Kitaro (1870-1945), der in seinem Text Ich und Du (watashi to nanji) auf das Resonanzmotiv zurueckgreift. Der Vortrag versucht unter Heranziehung einschlaegiger Texte ein Grundmotive ostasiatischer Ethik herauszuarbeiten, dass mit dem chinesischen Wort „ying" (Resonanz, Antwort, Sollen) exemplarisch zum Ausdruck gebracht werden kann. Es soll somit das Thema Erziehung und Ethik in interkultureller Perspektive philosophisch bearbeitet werden.

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Die herausragende Bedeutung der Musik fuer die ethische Erziehung des Menschen ist uns durch die griechische Kultur nicht unbekannt. Musik galt in Griechenland als ein wesentliches erzieherisches Mittel, Tugend in der Seele des Menschen zu erzeugen. So legt Platon dem Sokrates folgende Worte in den Mund:

ZITAT „Ist nun, mein Glaukon, die Erziehung durch Musik nicht darum von entscheidender Wichtigkeit, weil Rhythmus und Harmonie am meisten in das Innere der Seele eindringen und sie am staerksten ergreifen, indem sie die rechte Haltung mit sich bringen und den Menschen demgemaess gestalten." (Platon, Politeia, 401.)

Rhythmus und Harmonie gelten dabei als die Prinzipien der Ordnung in der Bewegung, die unter den Lebewesen nur der Mensch faehig ist zu verstehen (Nomoi, 653e). Die durch diese musische Erziehung zu erreichende Ordnung ist aber nicht irgendeine Ordnung, sondern letztendlich die dem Logos d.h. der allgemeinen Vernunft entsprechende Ordnung in der Seele des einzelnen. Die Bewegungen der Einzelseele stimmen so nach gelungener Erziehung mit der Vernunft ueberein, noch bevor sie diese Uebereinstimmung spaeter durch das Philosophieren vertiefen kann.

ZITAT „Bildung (paideia) also nenne ich die Tugend (arete), wie sie zuerst bei den Knaben sich einstellt; wenn also Lust und Freundschaft und Unlust und Hass auf richtige Weise in den Seelen entstehen, noch bevor sich diese darueber Rechenschaft geben koennen, und wenn dann aber, nachdem dies der Fall ist, diese Empfindungen mit der Vernunft (logos) darin uebereinstimmen (symphonesosis), dass sie durch die passenden Gewohnheiten richtig geformt worden seien, so liegt gerade in dieser Uebereinstimmung (symphonia) die ganze Tugend beschlossen." (Nomoi, 653b)

Festhalten moechte ich aus diesem Kontext zwei Momente: 1. Die erzieherische Bedeutung der Musik bezieht sich bei Platon ausschliesslich auf die Einzelseele. 2. Die Musik erzeugt in der Einzelseele eine Uebereinstimmung (symphonia) der Empfindungen mit dem Logos, der in jeder Einzelseele verborgen gegeben ist und sie zugleich uebersteigt.

Auch im alten China wurde der Musik eine ueberragende Bedeutung fuer die ethische Erziehung der Menschen beigemessen. Im Li3ji4 (Zum Liji vgl.: Early Chinese Texts. A Bibliographical Guide, ed. by Michael Loewe, Berkley 1993, S. 293-297. Die erste Kompilation des Buches stammt vermutlich aus dem 3. Jahrhundert v. Chr.), dem Buch der Riten, Sitten und Gebraeuche, finden wir unter den grundlegenden Abhandlungen das Yue4ji4, die Abhandlungen ueber die Musik, die aus dem 3. Jh. v. Chr. stammen (Man vermutet, dass das die Gedanken im Yueji eine Weiterentwicklung der Musiktheorie Xun2Zi3’s sind, der von ca. 313-238 gelebt hat.) und somit ein aehnliches Alter aufweisen wie die platonischen Schriften. Dort heisst es: fuer die Erziehung

ZITAT „machten die frueheren Koenige die Musik, um durch dieses Vorbild Ordnung zu schaffen. War sie gut, so glich der Wandel der Menschen der Tugend (xiang1 de2)". (Li Gi. Das Buch der Riten, Sitten und Gebraeuche, uebers. und hrsg. v. R.Wilhelm, Neuausgabe Koeln 1981, S.79, Abschnitt 32.)

Dieser Gedanke scheint sich zunaechst nicht von der platonischen Vorstellung zu unterscheiden, denn auch bei Platon geht es um das Etablieren von Ordnung. Schauen wir uns aber den chinesischen Text genauer an, so ist im letzten Satz „so glich der Wandel der Menschen der Tugend" im chinesischen Text nicht ausdruecklich vom Menschen die Rede. Woertlich heisst es dort: „gut (die Musik), dann Wandel gleicht Tugend (de2)". Das chinesische Wort fuer Wandel (xing2) steht nicht nur fuer den Wandel des Menschen, sondern kann auch heissen „gelingen, sich vollziehen, vor sich gehen" bezogen auch auf die Geschehnisse in der Natur. Bezieht sich der Wandel und damit die Ordnung aber nicht nur auf den Menschen, so stellt sich die Frage: in welcher Weise etabliert sich nach den chinesischen Vorstellungen die Ordnung. Die Einzelseele des Menschen allein kann somit nicht der Ort der Tugend sein. An anderer Stelle heisst es:

ZITAT „Wenn sich die Musik vollzieht (xing2), so werden die sozialen Pflichten bzw. die natuerlichen Beziehungen der Menschen untereinander klar"( Ebd., S. 82, Abschnitt 45.)

Hier wird schon deutlicher, dass die Erziehung durch Musik sich nicht auf den einzelnen bezieht, sondern auf den Vollzug der zwischenmenschlichen Beziehungen. In diesem Sinne heisst es im Text:

ZITAT „die Mitmenschlichkeit entspricht der Musik" ( Ebd., S. 77, Abschnitt 21. Bei Wilhelm heisst es „Die Liebe entspricht der Musik".), wobei hier besonderes Augenmerk auf das chinesische Zeichen fuer Mitmenschlichkeit ren2 gelegt werden muss, dass sich aus den zwei Bestandteilen „Mensch" und „zwei" zusammensetzt. D.h. Menschlichsein konstituiert sich mindestens aus zwei Menschen, die miteinander umgehen. Aber wiederum beschraenken sich die Beziehungen nicht nur auf zwischenmenschliche Situationen, denn das Wort lun2, dass vom Uebersetzer wiedergegeben wurde mit „soziale Pflichten" (und damit den Aspekt auf das Individuum verschiebt) bzw. von mir mit „die natuerliche Beziehung der Menschen untereinander", kann auch alle natuerlichen und regelmaessig ablaufenden Beziehungen bedeuten. D.h., wenn sich die Musik vollzieht (xing2), werden nicht nur die zwischenmenschlichen Beziehungen geordnet, sondern auch die natuerlichen Beziehungen in der Natur und mit der Natur. Somit kann gesagt werden, dass die Musik als Vorbild im Unterschied zum griechischen Modell nicht primaer der Einzelseele zugedacht ist, sondern ein Vorbild ist fuer das Zusammenklingen der Menschen, das Zusammenklingen der Dinge, aber auch fuer das Zusammenklingen von Menschen und Dingen, wobei dieses Zusammenklingen allerdings nicht durch ein allgemeines Gesetz im Hintergrund geregelt wird, sondern vielmehr aus der Beziehung selbst heraus d.h. aus dem Zusammenklang seine Stimmung erzeugt.

Das konkrete Bild fuer eine musikalische Ordnungssituation im chinesischen Kontext, die zugleich den Vollzug des Ethischen zeigt, ist folgender Textstelle aus dem Yue4ji4 zu entnehmen:

ZITAT „Der Grundton ist der Fuerst (jun1), die Sekunde ist der Beamte (chen2), die Terz ist das Volk (min2), die Quinte sind die Aufgaben/Situationen (shi4), die Sexte sind die Gegenstaende (wu4). Wenn diese fuenf nicht in Verwirrung sind, so gibt es keine unharmonischen Toene. Wenn aber der Grundton unrein ist, so entsteht Not, weil der Fuerst hochmuetig ist. Wenn die Sekunde unrein ist, so entsteht Verfall, weil die Beamten verdorben sind. Wenn die Terz unrein ist, so entsteht Trauer, weil das Volk grollt. Wenn die Quinte unrein ist, so entsteht Schmerz, weil die Aufgaben zu muehsam sind. Wenn die Sext unrein ist, so entsteht Gefahr, weil die Gueter Mangel zeigen. Wenn alle fuenf unrein sind und miteinander disharmonieren, so ist das die allgemeine Aufloesung, und wo es so ist, da steht der Untergang des Volkes in allernaechster Zeit bevor" (Ebd., S. 72, Abschnitt 4.)

Das Bild macht deutlich, dass jedes einzelne Moment im sozialen Gefuege, wobei sozial hier im erweiterten Sinne zu verstehen ist, im Zusammenklang der Toene jeweils seinen Ton in den Gesamtklang einzugeben hat, wobei die Grenze zwischen Mensch und Natur fliessend ist. Um diesen Zusammenklang harmonisch (he2) zu gestalten muss jeder Einzelton auf den Anspruch der verschiedenen Klangbeziehungen eingehen, um so resonierend den Eigenklang in den Zusammenklang einzubringen. Um aber ein voelliges Verfliessen zu vermeiden, sind die Beziehungen durch die Sitten und den Anstand hierarchisch geordnet:

ZITAT „Die Musik bewirkt Vereinigung (tong2), die Sitten (li3) bewirken Trennung (yi4). In der Vereinigung sind die Menschen einander nahe, durch die Trennung achten die Menschen einander. Wenn die Musik ueberwiegt, so entsteht die Gefahr des Zerfliessens (liu2). Wenn die Sitte ueberwiegt, so besteht die Gefahr der Zersplitterung (li2)." (Ebd., S. 75, Abschnitt 13.)

Sehr deutlich wird hier betont, das die Einzelmomente sich zwar vereinigen, aber zugleich auch getrennt bleiben.

Das chinesische Zeichen, das dieses Zugleich von Vereinigung und Trennung in der Beziehung zum Ausdruck bringt ist das Zeichen ying, das als ein Grundmotiv der gesamten chinesischen Kultur gelten kann. Das Zeichen ist in seiner Bedeutung sehr schillernd: Im ersten Ton bedeutet es 1. muessen, sollen, erforderlich, 2. passend, passen, gehoerig, 3. zutreffend, zweckentsprechend, 4. im modernen Chinesisch auch: zustimmen, zusagen, versprechen, annehmen; im vierten Ton bedeutet es: 1. entsprechend, Folge leisten, erfuellen, erwidern, sich anpassen, sich nach etwas richten, 2. vergelten, 3. Antwort, antworten, Erwiderung, Echo, Resonanz, 4. im modernen Chinesisch auch: begegnen, mit etw./jem. umgehen, mit etw. fertig werden.

In der Bedeutungsbreite von ying sind drei Momente enthalten: 1. das antwortende Eingehen auf eine Sache, 2. Die Zusage auf eine Sache hin, 3. das resonierende Aufgehen in einer Sache. Aus diesen drei Momenten konstituiert sich ein Sollen, das sich aus konkreten Zusammenhaengen ergibt. Somit sind alle drei Momente fuer die Konstitution des Ethischen von Bedeutung, wobei das Ethische immer als ein Vollzug bzw. Geschehen aufgefasst wird, bei dem konkret eine Ordnung gelingt (xing2) oder nicht, wie in dem gerade angefuehrten Beispiel. Der Fuerst, die Beamten, das Volk, die Aufgaben bzw. Situationen und die Dinge sind Momente in einem sich selbst regelnden Prozess, in den sich jedes Moment in der Weise des ying, des antwortenden Resonierens, einzubringen hat. Jedes einzelne hat zwar seinen Ort und seine Aufgabe, aber dieser bzw. diese veraendert sich jeweils nach Stimmungslage der Gesamtordnung, die selber auch vom antwortenden Resonieren der einzelnen abhaengig ist. Das antwortende Resonieren ist dabei durchaus leiblich, da es aus einem konkreten Handlungsvollzug hervorgeht, an dem der Mensch geistig und leiblich beteiligt ist, wobei im chinesischen Kontext die Trennung von Geistigem und Leiblichem zu keiner Zeit so folgewirksam und philosophisch bestimmend war wie in der europaeischen Tradition. Das Sollen im ethischen Sinne ist hier weder gebunden an ein Individuum noch an einen Logos, der den universalen Hintergrund fuer die Ethik bilden kann. Die Entstehung des Sollens umfasst im angefuehrten chinesischen Modell immer Mensch und Natur als eine einheitliche Struktur, wobei die UEbergaenge fliessend sind.

Ein anderer chinesischer Text, in dem das Motiv des ying in umfassender Weise entwickelt wurde, ist das Buch Huai2nan2 zi aus dem 2. Jh. vor unserer Zeitrechnung. In ihm versammeln sich verschiedenste Stroemungen des klassisch chinesischen Denkens und werden in einer umfassenden Kosmologie zusammengebunden. Der Sinologe Charles Le Blanc fasst in seinem Buch Huai-Nan Tzu. Philosophical Synthesis in Early Han Thought. The Idea of Resonance (kan3ying4) die Grundintention des Huainan zi wie folgt zusammen:

ZITAT „Die Vollkommenste Regierung ist die des Nicht-Handelns (wu2wei2), und sie wirkt durch die natuerliche (zi4ran2) Resonanz (gan3ying4) der Dinge und Wesen. Der vollkommene Herrscher ist der Wahre Mensch (zhen1 ren2), der eins ist mit dem Tao und in gegenseitiger Resonanz mit allen Dingen steht." (Le Blanc, S.192) An dieser Stelle sei eine Nebenbemerkung erlaubt: Wer den Himmelstempel in Beijing besichtigt, kann diese Formen der Resonanz in architektonischer Umsetzung erleben. In diesem Tempel richtete der Kaiser seit dem 15. Jahrhundert alljaehrlich Raum und Zeit neu ein, was unterstuetzt wurde durch die Resonanzphaenomene, die insbesondere an zwei zentralen Orten des Tempels in einzigartiger Weise baulich realisiert sind.

Der Vollzugsraum der umfassenden Resonanz liegt „zwischen Himmel und Erde" (tian1 di4 chi jian1), wobei es ueber die Ordnungsvorgaenge in diesem Zwischen-Raum hinaus keine andere leitende Instanz gibt, die von aussen die Welt, die Menschen und die Dinge bestimmen koennte. Das Zusammenspiel in diesem Zwischen-Raum wird allein durch das Resonieren bzw. Antworten bestimmt.

ZITAT aus dem Huainan zi „Also ist, wer Dao erlangt in der Intention schwach, in der Sache (shi4) aber stark, im Herzen leer, im Antworten bzw. Resonieren (ying) aber treffend. ... mit den Dingen herumgehen, freischwebend sich drehen, nicht den Vorsaenger machen, sondern erst auf Anregungen antworten bzw. resonieren (ying). ... Was ich ‘in seiner Sache stark sein’ nenne, heisst: der Veraenderung begegnen, dem Ploetzlichen antworten bzw. resonieren (ying)." (Eva Kraft, Zum Hua-Nan-Tzu. Einfuehrung, Uebersetzung (Kapitel I und II) und Interpretation, Monumenta Serica, 16 (1957), S. 228. Chin. S. 4.)

Die angefuehrten Beispiele sollen verdeutlichen, dass Ethik im klassischen China zum einen immer auf Handlungsvollzuege und zum anderen immer auf Situationen des Zwischen bezogen ist, sei es zwischen Mensch und Mensch, zwischen Mensch und Ding oder sei es das Zwischen von Himmel und Erde, in dem sich all dies vollzieht. In den Handlungsvollzuegen, die im Yueji als Zusammenklingen verschiedener Toene gedeutet werden, ist der Menschen und auch alles andere immer leiblich eingebunden, so dass alles qua antwortendem Resonieren zum Gelingen (xing) der Ordnungsprozesse beitraegt. Als oberstes Evidenzkriterium fuer das Wahre und Gute gilt dabei, ob etwas unmittelbar und konkret zu einer gelingenden Ordnung fuehrt oder nicht. Im klassisch chinesischen Denken ist nur der Wandel aller Dinge selber unwandelbar, so dass es vorrangig darum geht, diese konkreten Wandlungsvollzuege in eine gelingende Ordnung zu bringen. In den denkerischen Bemuehungen, die wir in China finden, geht es seit alters darum, Wandlungsprozesse gelingen zu lassen, wobei sich diese nicht nur auf zwischenmenschliche Beziehungen beschraenkten, sondern gerade auch die verschiedenen Vollzuege in der Natur, wie z.B. der Lauf der Jahreszeiten, mit einbezogen sind. Ein gelingendes Handeln ist damit immer auf ein antwortendes, resonierendes Eingehen auf die verschiedenen Situationen und Ebenen angewiesen, da keine absolut uebergeordnete Regelinstanz angenommen wird. Wissen in verschiedenen Formen ist damit primaer wichtig fuer das konkrete, praktische Gelingen eines Ordnungsprozesses. Obwohl es im klassisch-chinesischen Denken auch Reflexionen zur Logik gibt, wie z.B. bei Hui4 Shi1 (ca. 370-310) und Gong1sun1 Long2 (Zeit der streitenden Reiche), bleiben diese Wissensformen aber eingebunden in die besondere Betonung der Bewaeltigung des praktisch, konkreten Wandels.

Kontrastierend zu bestimmten Traditionen des westlichen Denkens koennte man somit sagen: Erste Philosophie nach Aristoteles ist das Seiende als Seindes zu erkennen und in seinem unveraenderlichen Wesensbau zu beschreiben und zu wissen, um so Sein und Denken in Uebereinstimmung zu bringen. Wenn es hier einmal erlaubt ist analog zu konstruieren, so gehoeren zur Ersten Philosophie im klassisch chinesischen Denken alle Mittel, die das Gelingen eines konkreten und praktischen Ordnungsprozesses foerdern, unter diesen Mitteln ist das Wissen allerdings nur eines unter anderen. Ein anderes gleichwertiges Mittel fuer das Etablieren einer Ordnung waere z.B. die Uebung (xing2), der im ostasiatischen Kulturkreis eine eminente Bedeutung zukommt. In diesem Sinne ist Erste Philosophie im klassisch chinesischen Denken im weiten Sinne des Wortes Ethik, d.h. ein Wissen um das praktische Gelingen von Wandlungsvollzuegen, das allerdings nicht gebunden ist an einen alles umfassenden Logos.

Im klassischen China hat sich ein Ansatz fuer Ethik entwickelt, der zugleich auch ontologische Bestimmungskraft besitzt und den ich hier idealtypisch als Resonanz-Ethik bezeichnen moechte. Die Resonanz-Ethik ist in der chinesischen Geistesgeschichte in unterschiedlichsten Formen entwickelt worden, wobei die konfuzianischen Auspraegungen staerker das Regelhafte, die daoistischen staerker das Schoepferische betonen.

Aber nicht nur Konfuzianismus und Daoismus benutzen das Konzept der Resonanz (ying), sondern auch im Buddhismus, der seit dem ersten Jh. n. u. Z. in China eingefuehrt wird, hat dieses Konzept in der Uebertragung nach China eine grosse Bedeutung. An dieser Stelle sei nur auf zwei Termini hingewiesen, die unter anderem die besondere Stellung des Leibes im Konzept der Resonanz hervorheben. Erstens handelt es sich um den chinesisch-buddhistischen Terminus ying4shen1, der als Uebersetzungsterminus fuer das Sanskritwort nirmana-kaya (Wandlungsleib, Transformationsleib; nirmana: formen, kreieren, aufbauen, Komposition; buddh.: transformieren.) im Chinesischen gebildet wurde und vom chinesischen Terminus ausgehend ins Deutsche uebersetzt werden kann mit „Resonanz- bzw. Antwort-Leib". Durch die Uebersetzung des Sanskritwortes ins Chinesische wird die urspuenglich indisch-buddhistische Vorstellung durch die klassisch-chinesische Tradition ueberformt. Zusammen mit dem zweiten Terminus „ji4 shen1 cheng2 fo2", was wie folgt uebersetzt werden kann: „mit dem irdischen Leib unmittelbar Buddha werden", erhaelt der Leib als yingsheng d.h. Resonanz- bzw. Antwortleib eine zentrale Bedeutung fuer die Realisation des Erwachens. Hier werden somit die klassisch-chinesischen Vorstellungen bedeutsam, um das hoechste Ziel im ostasiatischen Buddhismus neu zu interpretieren. Ohne dieses Motiv hier weiter entfalten zu koennen, soll festgehalten werden, dass das Konzept des ying im Buddhismus eine Relevanz erhaelt fuer die Realisierung des Erwachens, dem hoechsten religioesen Ziel im ostasiatischen Buddhismus.

Die Wirkungen der Resonanz-Ethik bzw. des Konzeptes der Resonanz in seiner grundlegenden Bedeutung beschraenken sich aber nicht nur auf China, sondern sind auch in Japan deutlich zu erkennen. Um dies zu zeigen, moechte ich im folgenden auf ein Beispiele aus der Philosophie des 20. Jahrhunderts in Japan eingehen und zwar auf die Philosophie von Nishida Kitaroo (1870-1945).

Nishida thematisiert um 1930 die Frage nach dem Verhaeltnis von Ich und Du in einem gleichnamigen Aufsatz, wobei er zu dieser Zeit Bubers Werk noch nicht kennt. Nishida greift in seinen Eroerterungen auf das Motiv des ying, das antwortende Resonieren, zurueck, vermutlich ohne die klassisch-chinesischen Bezuege zu kennen. Deutlich wird durch diesen Bezug auch, dass Nishida nicht nur ein buddhistischer Denker ist, sondern verschiedene ostasiatische Gedanken aufgenommen hat. Sein Denken entfaltet sich zwischen oestlicher und westlicher Tradition, wobei er nicht auf einzelne Stroemungen innerhalb der Traditionen festzulegen ist. Auch im folgenden Zitat ueberlagern sich oestliche und westliche Motive, die in Nishidas Denken immer wieder in verschiedenen Weisen ineinander gedacht werden. An dieser Stelle sei ein laengeres Zitat erlaubt, da der Text, um den es sich handelt noch nicht in eine westliche Sprache uebertragen worden ist:

ZITAT „Das wahre Selbstbewusstsein (shin no jikaku), das in sich selbst den absolut Anderen (zettai no ta) sieht, muss gesellschaftlich (shakaiteki) sein. Es muss in der raumhaften Beziehung von Mensch und Mensch gruenden. ... Ich kann durch die Resonanz (hankyoo) meines persoenlichen Handelns (jinkoteki kooi) dich wissen und du kannst durch die Resonanz deines persoenlichen Handelns mich wissen. Dass wir im jeweilig eigenen Grunde den absolut Anderen suchen und gegenseitig aus dem jeweiligen Innern heraus in den Anderen uebergehen, kann als das wahre selbstbewusste persoenliche Handeln gedacht werden. In einer solchen Handlung (kooi) beruehren Ich und Du einander (aifureru), d.h. durch die Antwort (otoo) von Handlung auf Handlung wissen Ich und Du einander (aishiru).

(Das japanische Wort fuer Antwort ist otoo, wobei das lange oo dem chinesischen Zeichen fuer ying entspricht ) ... Ich weiss dich dadurch, dass du mir antwortest (otoosuru), und du weisst mich dadurch, dass ich dir antworte. Wir wissen nicht dadurch voneinander, dass mein Akt (sayoo) und dein Akt vereinigt (gooitsu) werden, sondern wir wissen einander dadurch, dass wir einander gegenueberstehen bzw. widersprechen (sootairitsu) und einander antworten (soootoo). Hier muss es immer ein Beziehung von Tat (sayoo) und Reaktion (handoo) geben. ... Ich weiss dich nicht dadurch, dass ich in deine Gefuehle (joosho) hinuebergehe, sondern ich weiss dich dadurch, das ich als Persoenlichkeit dir als Persoenlichkeit unmittelbar antworte (otoosuru). Ich weiss dich nicht so sehr dadurch, dass ich mit dir mitfuehle, sondern eigentlich kann ich dich immer besser dadurch erkennen, dass ich mit dir streite. Und gleichzeitig damit, dass ich dich und du mich durch eine solche Antwort weisst, kann ich ohne deine Antwort mich selber nicht wissen und auch kannst du ohne meine Antwort dich selber nicht wissen. ... Die Beziehung von Mensch zu Mensch muss ein miteinander Reden und ein einander Antworten sein. Auch wenn ich das Denken und das Gefuehl des anderen Menschen weiss, so ist dies nicht eine blosse Vereinigung von mir mit dem anderen Menschen, mein Bewusstsein (watashi no ishiki) und das Bewusstsein des anderen muessen absolut voneinander unterschieden bleiben (ta naru mono). In dem Sinne, dass mein Bewusstsein nicht zum Bewusstsein des anderen werden kann, kann ich das Bewusstsein des anderen absolut nicht wissen. Die gegenseitige Beziehung absolut Entgegengesetzter ist ein echoartiges treffen (hankyooshiau), bzw. ein Antworten (otoo). Das Bestimmen seiner selbst in durchgehender Eigenstaendigkeit und das einander Vereinigen in der Spitze der Selbstbestimmung ist ein Antworten. Hier liegt eine Einheit von Ich und Du und zugleich ein wirklicher Gegensatz vor." (Nishida Kitaroo zenshu, Bd. 6, S. 391f.)

Nishida legt in den zitierten Passagen besonderen Wert darauf, dass das Beruehren von Ich und Du realisiert wird durch einen antwortenden bzw. resonierenden Vollzug, der sich sowohl auf den sprachlichen als auch auf den handelnden Umgang bezieht. Ich und Du konstituieren sich gegenseitig im antwortenden Umgang miteinander, ohne jedoch dabei einfach miteinander zu verfliessen, denn gerade auch die absolute Unerreichbarkeit des anderen ist wesentlich fuer die Beruehrung von Ich und Du im antwortenden Umgang. Bei Nishida bleibt das Problem allerdings an dieser Stelle stark gebunden an die Frage nach dem Wissen und im Zusammenhang damit an die Frage nach dem Selbstbewusstsein, wodurch das Konzept der Resonanz nicht voll in seiner leiblichen Dimension zum Tragen kommt. Er benutzt das Konzept der Resonanz in spaeteren Texten zwar nicht mehr, dafuer rueckt aber das Motiv des Leibes ins Zentrum seines Denkens. Deutlich ist aber zu erkennen, dass der Ansatz fuer die Loesung des Ich-Du Problems bei Nishida dem klassisch-chinesischen Modell entspricht, obwohl ihm dies selber vermutlich nicht bewusst war. Aus den Zitaten geht aber auch klar hervor, welche Stellung Nishida im japanischen Denken einnimmt. Er greift europaeisch philosophische Fragestellungen auf, um dann in ihrer Ausarbeitung - bewusst oder unbewusst - asiatische Motive zu verarbeiten, so dass sein Philosophieren selber ein Antworten bzw. Resonieren auf Europaeisches ist, wobei weder das Europaeische noch das Asiatische unveraendert bleiben. Genau hierin ist aber auch die Bedeutung und der Sinn einer Auseinandersetzung zwischen europaeischer und asiatischer Philosophie zu erblicken. Nishida ist ein Beispiele dafuer, wie auf einen europaeischen Anspruch hin in Japan in Rueckbezug auf die eigenen Traditionen eine neue Antwort formuliert wurde. AEhnliches ist natuerlich auch von Europa aus moeglich, wobei der Antwort aus Europa zunaechst die Aufnahme des Anspruchs aus Asien vorangehen muss. Um dabei weder vorschnellen Identifizierungen zu erliegen noch dem Aufbau von unueberwindlichen Differenzen zu verfallen bedarf es immer neuer Versuche, sich dem Anspruch zu stellen, um neue Antworten vorzubereiten.

Im Kontrast zum Motiv der Musik in ihrer Bedeutung fuer die ethische Erziehung bei Platon habe ich versucht, einen entsprechenden chinesischen Ansatz fuer die Ethik vorzustellen. Dabei hat sich gezeigt, dass dieser Ansatz ausgeht von zwischenmenschlichen Beziehungen, die sich konstituieren durch das handlungsbezogene Prinzip der Resonanz bzw. der Antwort, so dass Ethik an situative Vollzuege gebunden bleibt. Das Praedikat „gut" kommt demnach nicht einem einzelnen zu, sondern das Gute konstituiert sich in einem gelungenen Wandlungsprozess, wobei alle beteiligten Momente in resonierender Weise zusammenklingen muessen, jedoch ohne ihr jeweils eigenes gaenzlich aufzugeben.

Die drei vorgestellten Ansaetze sind aber im Hinblick auf die Konstitution der Resonanz nicht identisch. Der klassisch chinesische Ansatz betont sehr stark das Gemeinschaftsmotiv wodurch das Individuelle in den Hintergrund tritt. In der buddhistischen Interpretation der Resonanz ist das Individuelle staerker betont, da es im Buddhismus zunaechst um das Erwachen des je einzelnen geht. Bei Nishida hingegen wird sowohl das Gemeinschaftliche als auch das Individuelle betont, ohne dass das eine das andere ueberschatten wuerde.

Bemerkenswert ist, dass das Motiv des ying bisher meines Wissens in Japan nicht weiter fruchtbar gemacht wurde fuer den Diskurs um die „Zwischenmenschlichkeit", wie er z.B. von Watsuji, Kimura oder Yamaguchi entwickelt wurde. Die Moeglichkeit dieses „Zwischen" von der Musik d.h. zugleich vom Motiv des ying her zu verstehen, zeigte sich sehr deutlich im Yueji, den Abhandlungen zur Musik, und im Huanan zi und auch in vielen anderen chinesischen Texten. Ohne nun von diesem Ansatz die Loesung zu erwarten, koennen aber durch einen Blick darauf neue Gesichtpunkte entdeckt werden, die insbesonder den Gegensatz von Gemeinschaft und Individuum uebersteigen.

Ohne dieses Motiv in seiner Fuelle entfalten zu koennen, sollte der Hinweis auf diesen besonderen Ansatz in der chinesischen und japanischen Geisteswelt gegeben werden, der m.E. zu den Grundlagen der ostasiatischen Lebenswelt insgesamt gehoert und in fast allen Vorstellungen irgendwie wirksam ist. Eine eingehendere Phaenomenologie des Motives muesste sowohl die Entwicklung in China als auch in Japan mit einbeziehen, nur von dort aus koennte eine tiefergehende Auseinandersetzung mit europaeischen Philosophien des 20. Jahrhunderts Frucht bringen.

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