20th World Congress of Philosophy Logo

Theoretical Ethics

Noch Einmal in Sachen Normativität
und Autonomie der Ethik

Gut Przemysla
Catholic University of Lublin, Poland
dedo@zeus.kul.lublin.pl

bluered.gif (1041 bytes)

ABSTRACT: Das Ziel dieses Artikels ist, die fundamentalen Gründe dafür zu bestimmen daß die Ethik von ihrem Wesen her normativ ist und daß sie als (1) theoretische und (2) autonome Disziplin möglich ist. Seit dem Positivismus begegnet man immer häufiger der gegenteiligen Ansicht (die heute besonders im Naturalismus präsent ist), daß eine als normative und autonome Disziplin verstandene Ethik nicht real sei. Man meint, sie [die Ethik] müsse durch reduktive Analyse entweder als Teil der Biologie oder als Fragment der Soziologie interpretiert werden-wer schon Comte von einer ‘sozialen Physiologie’ sprach. Die Ethik soll nicht mehr sein als lediglich (1) eine Art von Analyse der Motive, die von streng definierten biologischen Mechanismen ausgelöst werden, welche von bestimmten emotionales Reaktionen begleitet sind (Lust oder Unlust), oder (2) eine Art von Analyse der sozialen und psychologischen Dimension des menschlichen Lebens, eine Untersuchung der dieses beherrschenden Gesetze. Dabei wird vorausgesetzt, daß das faktische Verhalten sowie die faktischen Bestrebungn unk Neigungen sowie die ihnen zugrundeliegenden beständigen biologischen Mechanismen autonomatisch in sittliche Verhaltensregeln übersetzt werden (siehe M. Schlick, Fragen der Ethik]. Man is der Meinung, jeder Versuch einer rationalen Erklärung und Begründung der Aufgaben der Ethik (der faktisch formulierten Urteile und Norman) sei nur ‘von außen her’ möglich, d.h., infolge der Anweendung von aus anderen Theorien (Biologie, Soziologie oder Psychologie) übernommenen Prozeduren unk Kriterien. Andernfalls bliebe die Ethik ein ungeordnetes und unkoordiniertes Ensemble von Direktiven und Beobachtungen, denen höchstens eine übergeordnete Losung oder-schlimmer noch-the bloße Names einer Autors eine gemeinesame Farbe verleihen könne [siehe M. Ossowska Glówne modele systemów etycznych, Studia Filozofiezne 4 (1995), nr. 4.

bluered.gif (1041 bytes)

Das Ziel dieses Artikels ist, die fundamentalen Gründe dafür zu bestimmen, daß die Ethik von ihrem Wesen her normativ ist und daß sie als (1) theoretische und (2) autonome Disziplin möglich ist.

Seit dem Positivismus begegnet man immer häufiger der gegenteiligen Ansicht (die heute besonders im Naturalismus präsent ist), daß eine als normative und autonome Disziplin verstandene Ethik nicht real sei. Man meint, sie [die Ethik] müsse durch reduktive Analyse entweder als Teil der Biologie oder als Fragment der Soziologie interpretiert werden—wie schon A. Comte von einer "sozialen Physiologie" sprach. Die Ethik soll nicht mehr sein als lediglich (1) eine Art von Analyse der Motive, die von streng definierten biologischen Mechanismen ausgelöst werden, welche von bestimmten emotionalen Reaktionen begleitet sind (Lust oder Unlust), oder (2) eine Art von Analyse der sozialen und psychologischen Dimension des menschlichen Lebens, eine Untersuchung der dieses beherrschenden Gesetze. Dabei wird vorausgesetzt, daß das faktische Verhalten sowie die faktischen Bestrebungen und Neigungen sowie die ihnen zugrundeliegenden beständigen biologischen Mechanismen automatisch in sittliche Verhaltensregeln übersetzt werden [siehe M. Schlick, Fragen der Ethik]. Man ist der Meinung, jeder Versuch einer rationalen Erklärung und Begründung der Aufgaben der Ethik (der faktisch formulierten Urteile und Normen) sei nur "von außen her" möglich, d.h. infolge der Anwendung von aus anderen Theorien (Biologie, Soziologie oder Psychologie) übernommenen Prozeduren und Kriterien. Andernfalls bliebe die Ethik ein ungeordnetes und unkoordiniertes Ensemble von Direktiven und Beobachtungen, denen höchstens eine übergeordnete Losung oder—schlimmer noch—der bloße Name eines Autors eine gemeinsame Farbe verleihen könne [siehe M. Ossowska Glówne modele systemów etycznych, Studia Filozoficzne 4 (1959) nr 4].

Diese Ansicht ist manchmal von der Überzeugung genährt, die sittlichen Wertungen und das sittliche Handeln im täglichen praktischen Leben seien eine Sache persönlichen Dafürhaltens oder willkürlicher Entscheidungen bzw. eine Frage der kulturellen Herkunft oder hergebrachter Konventionen. Die Bedeutung solcher Begriffe wie Wahrheit und Güte soll ausschließlich biologisch bedingt oder sozial und kulturell erzeugt sein, nicht aber epistemologisch entdeckt werden

Diese Ansicht ist nicht überzeugend. Ich denke, daß dies kein angemessenes Verständnis der Ethik ist. Natürlich erfordert die Konstruktion einer logisch korrekten und von willkürlichen Entscheidungen weit entfernten, sachlich triftigen ethischen Theorie eingehende Studien sowie ein umfassendes Wissen über die psychischen Geschehnisse, die sozialen Phänomene und die Struktur des menschlichen Organismus. Dies alles sind schließlich Schichten ein und desselben menschlichen Wesens, derselben menschlichen Existenz, die wechselseitig miteinander verzahnt sind und oft nicht unbeträchtlichen Einfluß auf die Richtung unserer Unternehmungen ausüben. Die Nützlichkeit dieser Theorien—das steht außer Zweifel—kann jedoch nicht bedeuten, daß alles, was wir in Sachen Ethik zu sagen haben, sich im Rahmen dieser Wissenschaften erschöpft. Erstens verfügen wir über kein allgemeines biologisches oder soziologisch-psychologisches Wissen, das imstande wäre, die Gesamtheit menschlichen Denkens zu erklären. Mehr noch, ich bin überzeugt davon, daß die Entwicklung dieser Disziplinen eher die prinzipiellen Unterschiede aufzeigt, durch die sich die den sittlichen Handlungen eigenen Bedingtheiten voneinander unterscheiden, als ihren Scheincharakter aufzuzeigen, wie seinerzeit Spinoza meinte. Deshalb bin ich der Ansicht, daß aus den gleichen Gründen, wie die Versuche, mathematische Theorien unter Berufung auf die Biologie oder die Psychologie zu erklären, als sinnlos gelten, auch eine biologische, soziologische oder psychologische Interpretation der Ethik verworfen werden muß. Zweitens geht es in der ethischen Theorie ja nicht ausschließlich um eine genaue Beschreibung, Erklärung oder Voraussicht, daß sich die Menschen so und nicht anders verhalten und urteilen bzw. sich so und nicht anders verhalten werden und urteilen werden. Die Ethik ist unabhängig davon, was die öffentliche Meinung von den Normen und der Moral hält. Sie ist eben nicht die unmittelbare Folge dieser Tatsachen, und man kann sie nicht mit Hilfe statistischer Techniken untersuchen. Darüber hinaus erschöpft sich die Aufgabe der Ethik nicht im Konstruieren eines rationalen Verhaltensprogramms unter dem Gesichtspunkt der Befriedigung (Lust oder Unlust) oder der Effektivität (Erfolg oder Niederlage, Praxeologie). Die Ethik ist wesentlich mit der Beantwortung der Frage verbunden, wie ich mich verhalten soll, wie ich leben soll, um mein Leben sittlich gut und würdig zu leben. Die Hauptaufgabe der Ethik in ihrer Kernbedeutung besteht somit im Definieren und Begründen eines ethischen Kriteriums, auf dessen Grundlage wir entscheiden können, welche Art von Verhalten und welche Art von Dingen gut (gesollt) oder böse (verboten) sind. Anders ausgedrückt, besteht das Ziel der Ethik im Konstruieren eines in bezug auf das sittlich Gute und Böse (recht und billig oder schändlich) möglichst rationalen Verhaltensprogramms [T. Kotarbiäski Zasady etyki niezaleznej, Studia Filozoficzne 2 (1958) nr 1].

Für eine solche Erfassung der Aufgaben der Ethik sprechen auch praktische Gründe. Der Mensch trifft ständig sittliche Wahlentscheidungen. Ein Vermeiden derartiger Entscheidungen ist praktisch unmöglich. Keine Wahl ist auch eine Wahl. Wenn wir wählen müssen, dann müssen wir auch ein Kriterium besitzen, anhand dessen wir entscheiden können, was gut und was böse ist bzw. was unter den gegebenen Umständen weniger gut oder besser ist. Gewählt wird nicht nur zwischen den extremen Polen Gut und Böse, oft oszilliert die Wahl zwischen dem Guten und dem Besseren. Wenn das so ist, dann müssen diesbezüglich rationale Wege gesucht werden Das menschliche Leben hat nur dann einen Sinn, wenn es ein koordiniertes System und ein harmonisches Ganzes bildet, wenn es kein launisches und von Emotionen hin und hergerissenes Leben ist, keine momentane und sofortige Trophäe um jeden Preis. Der Sinn des Lebens bedingt seinen Wert, der von der Wahl der Lebensideale und des Zieles abhängt, auf die das Leben gegründet und dementsprechend gestaltet wird. Dieses Ziel kann nur intellektuell erfaßt werden, aber dazu ist eine Argumentation im Rahmen einer bestimmten Art von normativer Ethik unentbehrlich.

Wenn diese Darlegungen den Kern dessen treffen, was Ethik ist, dann müssen wir nun zu der Frage übergehen, ob eine solche Theorie überhaupt möglich ist. Die Antwort auf eine so gestellte Frage muß empirisch sein, d.h. es müssen Beispiele für solch eine Ethik gezeigt werden. Ich will mich jedoch darauf beschränken, drei Prämissen zu nennen, die—wie ich meine—die Möglichkeit einer solchen Ethik begründen. Die erste dieser Prämissen hat epistemologischen, die zweite methodologischen und die dritte ontischen Charakter.

Ad 1. Die unser Handeln bestimmenden Motive können genauso wie die Thesen der empirischen Wissenschaften revidiert, kritisiert, begründet und systematisiert werden. Warum? Der menschliche Verstand ist keine von vornherein festgelegte Menge von Angewohnheiten, die unser Verhalten und Denken regeln und kontrollieren, sondern er verfügt über solche Fähigkeiten wie Reflexion, Selbstbewußtsein und Spontaneität, die uns helfen, uns von den uns durch die Außenwelt aufgezwungenen Inhalten sowie von unseren natürlichen Impulsen zu distanzieren und deren Einfluß als ein unser Handeln letztendlich determinierendes Motiv bis zu einem gewissen Grade zu neutralisieren. Es gibt also—wie Kant sagte—so etwas wie eine praktische Vernunft, die Fähigkeit, sein Verhalten selbst zu wählen, unabhängig von den eigenen Trieben, Bedürfnissen und Gefühlen. Das bedeutet, daß die sittlichen Wertungen und das sittliche Handeln Gegenstand einer zwar besonderen, aber dennoch rationalen Argumentation sein kann. Wir können dann nicht nur die Frage ergründen, was wir für uns selbst wollen sollen, sondern auch, was wir sowohl für uns wie für die anderen wollen.

Ad 2. Es besteht, worauf schon Czezowski [ Ethics as an empirical science, Philosophy and Phenomenological Research, 14 (1953) nr 2] hingewiesen hat, eine weitgehende Analogie zwischen der Struktur naturwissenschaftlicher Theorien und der Struktur ethischer Theorien, zwischen aus der Wahrnehmung stammenden individuellen Überzeugungen, die Ausdruck unmittelbarer sinnlicher Erfahrung sind und in denen die Existenz des Objekts konstatiert wird, und den individuellen ethischen Urteilen, die eine Verbalisierung der axiologischen Erfahrung darstellen, in denen der Wert des Objekts festgestellt wird. Ähnlich wie die Wahrnehmungsüberzeugungen bei der Entstehung naturwissenschaftlicher Theorien die Rolle grundlegender Prämissen erfüllen, können die ethischen Wertungen das Ausgangsmaterial beim Konstruieren der ethischen Theorie bilden. Die Forderung nach einem empirischen Charakter der Ethik muß nicht bedeuten, daß sie dann auch induktiven Charakter besitzen würde und somit nicht imstande wäre, allgemeine und unumstößliche Thesen zu formulieren. Nicht jede empirische Wissenschaft ist induktiv. In den empirischen Untersuchungen können wir auch die analytisch-deskriptive Methode verwenden. In der analytischen Beschreibung wird das Objekt als Repräsentant einer Allgemeinheit verstanden, was zu allgemeinen Thesen mit apodiktischem Charakter führt. Der in der analytischen Beschreibung enthaltene Akt der Verallgemeinerung bildet zweifellos einen spezifischen Erkenntnisakt. Man kann ihn als den Akt einer besonderen Intuition sehen, so wie Decartes oder Husserl sie verstanden haben. Er ist jedoch in der Analyse der Eigenschaften des beschriebenen Objekts begründet. Wenn in einer Reihe von typischen Fällen konstatiert wird, daß die Objekte der Beurteilung eine gemeinsame Eigenschaft besitzen, so stellt das die Grundlage für die Feststellung dar, daß jedes diese gemeinsame Eigenschaft besitzende Objekt der gleichen Art von Beurteilung unterliegt und gut oder böse ist. Als Beurteilungskriterium dient immer eine empirische Eigenschaft. Dagegen stammt der apodiktische Charakter der analytischen Beschreibung daher, daß diese eine analytische Definition des beschriebenen Objekts liefert.

Ad 3. Diese weitreichende Parallelität zwischen naturwissenschaftlicher Theorie und ethischer Theorie ermöglicht, (a) die ethischen Wertungen als Effekt epistemischer Erlebnisse zu erfassen (Urteile und Normen werden als wahr oder falsch klassifiziert); (b) den guten oder bösen Charakter eines Objekts in Analogie zur Existenz dieses Objekts vom ontologischen Gesichtspunkt aus zu verstehen. Die Werte (Gut und Böse) sind keine Eigenschaften des Objekts, ähnlich wie die Existenz nicht in der Darstellung des Objekts enthalten ist [Brentano, Czezowski]. In der alten Terminologie sind dies Modifizierungen des Objekts, d.h. sie bezeichnen die Art und Weise des jeweiligen Objekts. Die Sätze "a existiert" und "a ist gut" besitzen eine andere Struktur als der Satz "a ist rot." Der Satz "a ist gut" bedeutet: "gut, daß für ein bestimmtes x: x mit a identisch ist." Dagegen bedeutet der Satz "a ist rot": "für ein bestimmtes x: ist x a, und a ist rot." Beide Sätze besitzen, wie man sieht, eine unterschiedliche Struktur, denn "rot" ist ein Prädikat, während "gut" kein Prädikat ist, sondern ein Funktor in Analogie zu den Modalfunktoren. So gesehen, wird eine Offenlegung folgender Zusammenhänge ermöglicht: der Satz "a ist gut" schließt den Satz "a ist böse" aus, weil nicht beide Sätze wahr sein können—in Analogie dazu, wie im logischen Quadrat der Satz a und der Satz e nicht zugleich wahr sein können. Eine andere Schlußfolgerung, die wir erkennen können, ist, daß sich der Satz "a ist nicht böse" aus dem Satz "a ist gut" ableiten läßt—analog dazu, wie der Satz i auf der Basis des logischen Quadrats aus dem Satz a (aus einem allgemein feststellenden Satz) hergeleitet wird.

Ich denke, die angeführten Prämissen berechtigen zu folgenden Feststellungen. (1) Die Ethik kann als ein theoretischer Bereich verstanden werden, der von ihm eigenen Regeln und Kriterien regiert wird. Sie ist ein logisch miteinander verbundenes und kohärentes System von Sätzen, im Rahmen derer sich Feststellungen des Gesolltseins oder anders formulierte ethische Normen befinden. (2) Die Ethik ist sowohl unter dem Gesichtspunkt der für die ihr eigenen Begründungen als auch unter dem objektiven Aspekt eine autonome und selbständige Disziplin, d.h. sie ist eine Theorie, deren Objekt (das sittlich Gute und Böse) von jeder anderen Theorie epistemisch völlig unabhängig ist. (3) Weil die Ethik auf ein ihr entsprechendes Objekt der Erfahrung gegründet ist, ist sie nicht allein von den Einzelwissenschaften, sondern auch von diesem oder jenen philosophischen oder religiösen System prinzipiell unabhängig.

Für ein solches Verständnis der ethischen Theorie spricht, daß sie—wie es scheint—erstens von dem von Kant formulierten Irrtum der Heteronomisierung und zweitens vom Irrtum des Naturalismus nach Moore frei ist.

bluered.gif (1041 bytes)

 

Back to the Top

20th World Congress of Philosophy Logo

Paideia logo design by Janet L. Olson.
All Rights Reserved

 

Back to the WCP Homepage